Unter einigen Eltern in meinen Timelines gibt es seit geraumer Zeit eine Debatte über die Frage, ob Eltern Fotos ihrer Kinder ins Netz stellen sollten oder nicht – Twitter, Instagram, Facebook, Blogs und andere soziale Medien bieten sich schließlich auch für Familiäres an, manche Eltern dokumentieren das Leben und Aufwachsen ihrer Kinder daher recht detailliert. Andere halten das für falsch, da sie in diesem Bereich nicht über ihre Kinder verfügen wollen und negative Folgen befürchten.
Als Einstieg in die verschiedenen Sichtweisen schlage ich die Artikel und die darin enthaltenen Links von Das Nuf und Steve Rückwardt vor.
Und ich gebe auch noch meinen eigenen Senf hinzu, eine Mischung aus Anmerkungen und eigener Erfahrung.
Mag sein, dass mir das entgangen ist, aber mir fehlt bei der Debatte zunächst eine genauere Altersdefinition, wenn wir über Kinder reden.
Ich finde es z.B. überhaupt nicht verwerflich, das ein oder andere Baby-Foto nach einer Geburt zu posten – Eltern und deren Freunde und Verwandte freuen sich über das neue Leben und ich glaube nicht, dass ein Mensch in seinem späteren Leben Schaden davon haben wird, wenn es eine Handvoll Babyfotos von ihm oder ihr im Netz gibt. Das wird kaum jemandem später peinlich sein, denke ich. Höchstens wegen der etwas debil grinsenden Eltern mit den unmöglichen Frisuren und Bärten daneben.
Wenn die Kinder dann älter werden – sagen wir mal: ab einem Alter von einem Jahr – wird das ganze etwas kniffliger. Sich als Erwachsener mehr Gedanken darüber zu machen, was man wie veröffentlicht, ist dann ganz bestimmt richtig, denn ab diesem Punkt treffen wir als Eltern Entscheidungen, die je nach genauem Umgang mit Kinderfotos durchaus spätere Folgen haben können, in erster Linie sehe ich das in Bezug auf Nachfragen der später älter gewordenen Kinder. Ich selbst hätte mich im Alter von 12, 13, 14 Jahren ganz sicher sehr unwohl gefühlt, wenn meine Klassenkameraden meine gesamte kindliche Entwicklung durch Fotos im Internet hätten nachverfolgen können. Das Alter der beginnenden und stattfindenden Pubertät gehört zu den eitelsten und emotional schwierigsten Phasen des Menschen, und Gelassenheit, Vernunft oder Verständnis gehören nicht unbedingt zu den bekanntesten Charaktermerkmalen einer jungen Person.
Tanja und ich haben so gut wie nie Fotos unserer beiden Söhne ins Netz gestellt, wir haben lange sogar vermieden, ihre Namen zu nennen. In Podcasts haben wir bis vor einigen Jahren nur vom “älteren” oder “jüngeren” Sohn gesprochen. In erster Linie wollten wir es den beiden ab einem bestimmten Punkt selbst überlassen, wie sie sich im Netz präsentieren.
Genau das findet auch statt, seit die beiden jeweils etwa 12 Jahre alt waren (sie sind jetzt 13 und 15), und ich kann sagen, dass das dann manchmal “schwieriger” ist als das, was die Eltern veröffentlicht hätten. Natürlich reden wir. Natürlich warnen wir. Aber was die Eitelkeit und der Selbstdarstellungsdrang eines Jugendlichen tatsächlich für Blüten treibt … das wissen wir wohl nie genau.
Ab einem Alter von 12, 13 Jahren und mit einem auch nur teilweise stattfindenden, eigenen Zugang zum Netz (via Smartphone oder Rechner) findet also meiner Meinung nach wie in vielen anderen Lebensbereichen auch ein gewisser Kontrollverlust statt, bei dem man auf den hoffentlich guten Einfluss der Eltern nur noch hoffen und in Notfällen zur Seite stehen kann. Gute Vorbereitung hilft, damit es diese Notfälle hoffentlich nie geben wird, völlig ausschließen kann sie aber auch die technisch bestaufgestellte Familie nicht. Es sind Teenager. Und Teenager machen auch mal Quatsch. Das ist ihr Job.
Die Phase bis zum Teenager-Einstieg haben wir selbst also kinderfotofrei gelassen und den Jungs danach und mit Begleitung von Erklärungen und auch Warnungen relativ freie Hand gelassen. Gleichzeitig finde ich von heute aus betrachtet: Das Posten von Fotos im Netz ist gerade für junge Menschen so normal geworden, dass unsere Jungs uns ein paar Familienfotos der letzten Jahre, auf denen sie auch zu sehen sind, garantiert nicht vorwerfen würden. Es kommt hier auf die Menge und den Kontext an. Wenn Eltern das Leben ihres Sohnes oder ihrer Tochter quasi lückenlos und immer aus der Sicht eines Dritten dokumentieren (statt als Teil einer Familie/Schule/Veranstaltung) und das Kinderalbum auf Facebook hunderte von Bildern enthält, dann finde ich das auch reichlich obsessiv. Aber dass auf Urlaubsbildern selbstverständlich die ganze Familie drauf ist oder der Siebenjährige auch mal alleine im Freizeitpark oder mit Freundinnen und Freunden bei einem Workshop in der Schule zu sehen ist, sollte kein Beinbruch sein. Sondern ein Teil unseres Lebens.
Denn, das halte ich für einen wichtigen Punkt bei der Debatte: Wenn wir Kinder gar nicht mehr stattfinden lassen im Netz, wenn wir ihre Existenz im Digitalen also quasi negieren, dann sind sie auch kein sichtbarer Teil der Gesellschaft mehr, und das wäre fatal.
Kinder verschwinden aus dem Stadtbild immer mehr. Tagsüber sind sie in der Schule, nachmittags beim Sport, in AGs oder am Rechner, Abends zuhause. Spielende Kinder auf den Straßen, Parks oder Plätzen sieht man in Städten kaum noch, auch keine Kinder, die in Gruppen auch am früheren Abend noch neugierig umherstreunen. Kinder sind konstant in der Obhut von Erwachsenen, und das nimmt ihnen Frei- und Entwicklungsraum. Die Mischung aus einer Stadtentwicklung, die Kinder nicht berücksichtigt, und angstgetriebenen Helikoptereltern sorgt etwas übertrieben gesagt dafür, dass Kinder im Alltag höchstens noch als lästige Anhängsel ihrer Eltern beim hektischen Einkauf im Supermarkt zu sehen sind.
Ich male etwas schwarz und ganz sicher ist die Situation in kleineren Gemeinden eine andere. Doch ich glaube, dass es ungesund für eine Gesellschaft ist, wenn sie Kinderfotos im Netz grundsätzlich untersagt oder als moralisch verwerflich ansieht. Wie schon erwähnt: Es kommt neben der Art der Darstellung auf die Mischung an. Und glücklicherweise gibt es jede Menge Eltern, die eine aus meiner Sicht sehr “gesunde” Mischung hinbekommen. Es tut natürlich auch niemandem weh, wenn Eltern beschließen, eben gar keine Fotos ihrer Kinder zu veröffentlichen – auch diese Entscheidung kann man den Älteren später gut erklären und ich erwarte keinerlei individuelle Schäden wegen unzureichender Fotodigitalisierung jüngerer Menschen durch ihre Eltern.
Kinder aber grundsätzlich “unsichtbar” werden zu lassen in genau dem Medium, von dem wir zurecht behaupten, dass es eben auch ein Lebensraum ist, halte ich für falsch. Denn je mehr Kinder zum Leben gehören, desto stärker können und werden sie sein.