Natürlich wird es Widerspruch, andere Meinungen und Einschätzungen geben, aber das ist ja das Gute: Dass wir nicht nur zwei Parteien haben in Deutschland. Und was auch klar ist: Jede Wahl ist ein Kompromiss. Wir leben in einem hoch individualisierten Land, in Bezug auf die Digitalisierung in einer hoch individualisierten Welt, und letztendlich gibt es wohl für die meisten Bundesbürger_innen keine Partei, die zu 100 Prozent die eigenen Meinungen oder Wünsche widerspiegelt. Auf jedes Bekenntnis zur Wahl einer Partei kann mit „Ja, aber!“ geantwortet werden, es gibt keine perfekte oder fehlerfreie Partei. Denn Parteien sind ja auch nur Ansammlungen von Menschen. Hoffentlich.
Ähnlich wie bei der deutschen Medienlandschaft bin ich aber sehr froh darüber, dass es hierzulande eine vergleichsweise heterogene Parteienlandschaft gibt. Den oft gehörten Vorwurf, alle Parteien seien mehr oder weniger gleich, halte ich für Unsinn. Und wem die absolut richtige Partei fehlt, die seiner Meinung nach auch viele andere Menschen ansprechen würde, der kann sie sogar selbst gründen. Wem das zu viel ist, der kann Vereine oder Initiativen gründen oder sich ehrenamtlich engagieren oder anders und vielleicht sehr lokal politisch aktiv werden, ohne Parteimitglied sein zu müssen. Bei allem Gemecker, bei dem ich ja manchmal selbst gerne dabei bin: Das ist im Prinzip alles schon ziemlich okay. Und besser geht natürlich trotzdem immer.
Ich hatte diesen Artikel zuerst als „Wahlempfehlung“ betitelt, aber ihr seid ja alle erwachsen. Hier ist meine Entscheidung, macht ihr doch, was ihr wollt! ;)
tl;dr (too long, didn’t read)
Die Spreeblick-Wahl 2017 fällt auf Bündnis 90/Die Grünen.
Runner up: Die Partei.
ts;du (too short, didn’t understand)
CDU
Ich habe noch immer Kopfschmerzen von der Kohl-Ära, und obwohl ich in den letzten Jahren durchaus auch Respekt vor Angela Merkel gelernt habe, bin ich davon überzeugt, dass mit der CDU kein modernisiertes Land, kein Umdenken in eine Richtung passieren wird, die mir gefallen könnte. Die CDU ist und bleibt die Partei der Analogen, Alten und Sehrgutverdiener, und obwohl ich selbst nicht mehr der Jüngste bin und auch nicht schlecht verdiene, möchte ich Politik, die sich um die Schwachen kümmert und die Entsolidarisierung der Gesellschaft nicht noch weiter vorantreibt. Mir geht die Finanzpolitik von Schäuble gegen den Strich und ich halte Thomas de Maizière für gefährlich. Gesundheits-, Bildungs-, Internet-, Steuer-, Sicherheits- und Sozialpolitik möchte ich nicht weiter von der CDU bestimmt sehen.
SPD
Die SPD gibt sich mit Martin Schulz augenscheinlich Mühe, den Weg zurück zu alten Tugenden zu finden und dabei den Blick nach vorn zu behalten. Ich glaube, sie können in der Opposition sehr gut unter Beweis stellen, ob sie das auch durchziehen, denn innerhalb der Großen Koalition hat es ja nicht geklappt. Ich weiß, dass viele Leute in der SPD gute Arbeit machen und machen wollen, ich wünsche ihnen daher ernsthaft viele Stimmen. Meine wird diesmal nicht dabei sein.
Die Linke
Ich kann verstehen, warum manche Leute, die ich kenne, Die Linke wählen wollen – ich kann aber, wenn ich die Sozialisierung und Lebenssituation einzelner Menschen kennenlerne, beinahe (!) jede Partei-Entscheidung nachvollziehen. Doch für mich ist Die Linke nicht die richtige Partei. Ich unterstütze einige Positionen, fühle mich aber immer wieder abgeschreckt von einzelnen anderen Positionen oder Personen.
FDP
Die FDP steht für mich noch immer für „Der Markt wird das schon richten“ und da er das nicht tun wird und ich auch gar nicht möchte, dass er das tut, werde ich auch nie FDP wählen. Es kommen noch einige Punkte der letzten Wochen hinzu, die mich die FDP nicht wählen lassen, aber mir ist selbst die Zeit zu kostbar, dazu noch mehr zu tippen. Obwohl ihr Programm in Sachen Digitalisierung im Vergleich mit den meisten anderen Parteien zu den umfangreicheren gehört.
Piratenpartei
Ich glaube, es gibt bei den Piraten einige Menschen, mit denen ich mich inhaltlich bestimmt gut verstehen kann, bei einigen Punkten im Wahlprogramm sieht das aber schon anders aus. Zudem habe ich nur von einer anderen Partei ähnlich viel Unsinn, verbale Entgleisungen und sexistischen Dreck von einzelnen Mitgliedern oder Anhängern gelesen wie von den Piraten, und damit will ich nichts zu tun haben.
Bündnis 90/Die Grünen
Bleiben also für mich Die Grünen. Die Partei, die sich lange vor allen anderen mit Umweltschutz, Klima, Energie und Nachhaltigkeit auseinandergesetzt hat, mit den Themen also, ohne die keine Partei auf dem aktuellen Parkett auftreten darf. Und auch die Partei, die – wie alle anderen Parteien auch – in ihrer Vergangenheit schwerwiegende Fehler begangen hat. Die Grünen sind für mich in diesem Jahr dennoch die Partei meiner Wahl, da ich ihnen den Wunsch nach Aufarbeitung solcher Fehler abnehme und den Eindruck habe, dass sie ihre eigene Modernisierung ernsthaft vorantreiben. Ich hoffe daher, dass ihnen das auch beim Land tatsächlich wichtig ist. Zudem habe ich in den letzten Jahren einige aktive Grüne kennengelernt, die ich für sehr fähig halte und deren Standpunkte ich weitgehend teile.
Ich möchte mit dafür sorgen, dass die Grünen im Bundestag vertreten bleiben. Die Gefahr einer Koalition mit der CDU ist mir bewusst, und ob es wirklich bei einem kategorischen Ausschluss einer Koalition (auch) mit der FDP bleibt, das wird wohl nur die nahe Zukunft zeigen … in beiden Fällen wäre ich aber eher froh, wenn die Grünen wenigstens auch mit am Tisch säßen. Oder eben in der Opposition, auch okay.
Die Partei
In Betracht ziehen kann man aber auch die Wahl von Die Partei, in erster Linie, wenn man sich nicht so sehr auf Kompromisse einlassen kann oder will wie ich, aber trotzdem kein_e Nichtwähler_innen sein will. Die neuerliche Schelte an der PARTEI finde ich unsäglich, denn ich halte die PARTEI keineswegs für ein zynisches Spaßprojekt. Auch hier habe ich Gespräche führen können, welche die einzelnen Leute alles andere als an Politik desinteressiert erscheinen lassen. Kaum eine andere Partei hat so dermaßen klare Haltung gegen Rechts gezeigt wie die PARTEI, kaum eine andere Partei führt den Politikbetrieb so vor, wie es Die PARTEI tut, und kaum eine andere hat sich so intensiv mit den politischen Online-Mechanismen und -Strategien Dritter beschäftigt und dagegengehalten.
Ja, die PARTEI arbeitet mit Humor und Satire, aber auch das ist ein politischer Akt. Man kann die PARTEI als Kunstprojekt verstehen. Und Kunst kann, darf, soll, muss eben auch politisch sein. Wer das innerhalb einer Demokratie verwerflich findet, dem empfehle ich ein paar Minuten Schlingensief. Und danach noch ein paar mehr.
Zur Person
Da ich gelernt habe, dass man die Hintergründe eines Menschen ein wenig kennen sollte, um ihn verstehen zu können (wenn man das will), und da ich nicht davon ausgehe, dass mich alle kennen, die dies hier lesen, ein paar kurze Sätze zu mir:
Jahrgang 1964, geboren im Westberliner Wedding, seitdem wohnhaft in Berlin. Ich arbeite in Kreuzberg und wohne in Tempelhof. Ich bin einer von zwei Söhnen, mein verstorbener Vater war Handwerker, meine Mutter war sowohl Hausfrau als auch Allround-Talent mit diversen angestellten und selbstständigen Jobs, sie ist inzwischen Rentnerin. Ich bin verheiratet, wir haben zwei Söhne, der ältere ist in der Ausbildung, der jüngere lernt an einem staatlichen Gymnasium. Ich selbst habe Abitur, bin aber ohne abgeschlossene Ausbildung oder Studium. Ich war während und nach der Schule zuerst Musiker und Radiomensch, habe später eine Firma mit rund 20 Angestellten geleitet und eine Insolvenz erlebt, inzwischen bin ich Veranstalter, Autor, manchmal Musiker und auch wieder Radiomensch, also mein Leben lang selbstständig tätig. Entferntester Auslandsaufenthalt im Westen: Kalifornien. Entferntester Auslandsaufenthalt im Osten: Moskau. Längste Zeit am Stück im Ausland: Ein knappes halbes Jahr in New York. Ich lebe weder von Finanzerträgen noch von Erbschaften, würde aber beides nicht ablehnen. Selbst, wenn es höher zu versteuern wäre.
Hinweis
Es ist in Deutschland eher unpopulär, die eigene Wahlentscheidung öffentlich zu machen, da man sich angreifbar macht. Ich halte es aber im Rahmen von sinnvollen Diskursen in einer Demokratie für hilfreich, zu persönlichen Entscheidungen zu stehen, sie ansatzweise zu erklären und dann andere Position anzuhören.
Ich bin daher dankbar für eben jene andere Positionen/Gedanken in den Kommentaren, bitte aber darum, die eigene Wahlentscheidung (die natürlich auch eine Nichtwahl sein kann) mit anzugeben und mit ein paar Worten zu begründen. Dankeschön.