Dieselbesitzer müssten ja inzwischen eher froh sein, wenn ihnen die Karre in Hamburg abgefackelt und vom Bund bezahlt wurde.
— Johnny Haeusler (@spreeblick) August 2, 2017
In Gesprächen behaupte ich immer gerne, ich würde mich nicht für Autos interessieren.
Dann erzähle ich von meinem ersten Wagen (einem Renault R4, wie dieser hier, aber in hellblau) oder von meinen diversen echten, also Nicht-BMW-Minis (ich hatte genau so einen Mini Cooper in British Racing Green und später einen gebrauchten, der ein Loch im Boden hatte, durch das man die sehr nahe Straße beobachten konnte). Ich berichte auch nur halb-ironisch davon, dass ich eigentlich gerne in einem kleinen britischen Zweisitzer herumfahren würde.
Und ich kann endlos über die Kommunikationsausstattungen moderner Fahrzeuge labern, die spätestens mit der Verbreitung von Smartphones lächerlich und umständlich sind und deren UI unter aller Kanone ist. Oder darüber, warum ich kein mit dem Internet verbundenes Auto haben bzw. die komplette Kontrolle über die übermittelten Daten behalten möchte und strenge Regulierungen fordere.
Irgendwie, auf eine eher untechnische Art, interessiere ich mich also doch für Autos. Ich fahre gerne Auto und ich besitze eines, obwohl ich weiß, dass man dafür in die Hölle kommt und ein Schwein ist. Oder andersrum. Und das alles bedeutet wiederum nicht, dass mir nicht wie jedem anderen Twitter-Schlauberger auch bewusst wäre, dass wir dringend andere Autos, Mobilitätskonzepte und Städte brauchen. Besonders Kopenhagen legt dabei vor und zeigt, wie fahrradfreundliche und sicherere Verkehrsplanung geht. Mal als Beispiel.
Triggerwarnung: Die nachfolgenden Gedanken drehen sich trotzdem um Autos. Denn ich glaube, dass das Thema aus vielerlei Gründen nicht ganz so schnell verschwinden wird, wie es manchen lieb wäre. Als individuelles Transportmittel wird das Auto noch lange existieren, da können wir noch so laut klingeln. Die Frage ist also, wie man damit umgeht, Schaden verringern oder sogar eliminieren und für lebenswerte Städte mit fairen und sicheren Konzepten für alle Verkehrsteilnehmer sorgen kann. Und zwar eher heute als morgen.
Stattdessen: Dieselgate einerseits, Tesla andererseits.
Fangen wir mit Dieselgate an. Ich halte die Debatte für aus dem Ruder gelaufen, solange nicht zu allererst diejenigen für das Desaster gerade stehen müssen, die den ganzen Mist anscheinend durch illegale Absprache, Gier-getrieben und in vollem Bewusstsein der Konsequenzen fabriziert haben. Wird dieser Prozess nicht in Gang gebracht, braucht sich niemand über weiter rückläufiges Vertrauen in den Rechtsstaat in der Bevölkerung zu wundern. Und jede Politik, die dabei Ablenkungsmanöver startet, beschwichtigt und die Verbraucher für völlig bekloppt erklärt – wie gerade beim „Dieselgipfel“ geschehen –, weil diese Industrie bzw. die von ihr bereitgestellten Arbeitsplätze für das Land so enorm wichtig sind, begeht den Fehler ihres Partei-Lebens. Warum nicht wenigstens die Grünen die größte Wahl-Chance dieser Bundestagswahl erkannt haben und noch lauter auf die Pauke hauen als die Umwelthilfe, wird mir ein Rätsel bleiben. Na gut. Ich weiß schon, warum. Das macht es aber nicht besser, sondern schlimmer.
Denn die tatsächlich wichtige Industrie, die trotz echter Schweinereien mal wieder politisch verteidigt wird, existiert in wenigen Jahren sowieso nicht mehr. Und sie ist selbst schuld daran. Nicht etwa Tesla.
Die Volkswagen-Gruppe hat im Jahr 2016 nach Statista 10,41 Millionen Fahrzeuge vom Band laufen lassen, bei Tesla waren es 79.000. Für die Perspektive: Die VW-Gruppe verkauft in einer einzigen Woche mehr als doppelt so viele Wagen wie Tesla im ganzen Jahr. Das ist wichtig, um zu erkennen, wie viel mehr Kunden, Kontakte, Markenstärke, Marktmacht, Geld, Erfahrung und Wissen ein Unternehmen wie VW im Vergleich zu Tesla eigentlich hat – ganz abgesehen davon, dass die VW -Gruppe ja auch ein klein wenig länger existiert.
Daher sollte es VW oder jedem anderen größeren Hersteller möglich sein, weitaus attraktivere und vor allem bessere elektrische Fahrzeuge anzubieten als Tesla, deren Hype neben der Person Elon Musk auf einem einzigen Faktor basiert: Tesla ist in aller Munde, weil sie es endlich machen. Und nicht darüber quatschen, dass man in Zukunft ja vielleicht mal eventuell und wahrscheinlich möglicherweise könnte.
Tesla baut nicht – um mal BMW als Vergleich zu nehmen – Protzkarren mit Verbrennungsmotoren und stellt sich dann noch ein Alibi-E-Auto neben die Produktpalette, das wie ein hässliches Entlein wirkt und auch so behandelt wird. Nein,Tesla baut ausschließlich Protzkarren, die mit Elektroantrieb fahren. Das ist mutig und konsequent in einer Welt, in der genau diese beiden Eigenschaften an so vielen Stellen fehlen. Aber es ist auch viel zu teuer (und trotzdem kommt Tesla mit der Produktion nicht nach). Erst irgendwann in den nächsten ein, zwei Jahren kann man einen Tesla zum Preis eines gehobenen Mittelklassewagens bekommen, günstige Kleinwagen dauern noch länger. Das Vorgehen Teslas, zunächst das Geld der Sehrsehrgutverdiener zu nehmen, um damit kommende günstigere Fahrzeuge zu finanzieren, ist schlau und völlig okay, aber das dauert halt alles noch eine Weile. Womit wir bei den ganzen anderen Schwächen von Tesla sind, die sich bisher kein klassischer Hersteller zunutze macht.
Ein Tesla ist irrsinnig teuer, dafür aber auch irrsinnig langweilig. Ich weiß, dass mir viele Anwälte und Berliner Flughafenbauunternehmer widersprechen werden, aber mit Ausnahme der Flügeltüren beim X hat kein bisheriges Tesla-Design Stil, Witz, Sex, Detailliebe, Spaß, Coolness oder Aufregung. Das Design von Tesla löst bei mir ähnliche Emotionen aus wie ein Billy-Regal: Tut, was es soll, aber eigentlich will man was anderes. Das gilt für außen wie für innen, im Fall des 3er: Ein großes, lieblos mittig aufgepapptes Display für alle Funktionen vor einem Holzdekor. Könnte in eine Ausstellung über „futuristisches DDR-Design“ passen. Und über die Alltagstauglichkeit eines Tesla spricht auch niemand, dabei finde ich durchaus wichtig, wie und womit ich ein Auto beladen kann. Passt da ein Billy-Regal rein?
Auch über die Produkt-Qualität von Tesla liest man in den Medien erstaunlich wenig, in verschiedenen Foren dafür umso mehr. Einige Tesla-Besitzer, die im Schnitt immerhin mal eben 100k für ihr Fahrzeug hingeblättert haben, berichten von Verarbeitungsmängeln wie schiefen Türen oder Klappen, Lackfehlern, merkwürdigen Geräuschen ab einem bestimmten Tempo und anderen Kleinigkeiten, die zwar von Tesla im Rahmen der Garantie behoben werden, aber eben auch zeigen: Autobau ist mehr als Batterie-Knowhow und es ist etwas, bei dem jahrzehntelange Erfahrung z.B. im Karosseriebau durchaus hilfreich sein kann.
Es ist nun nicht so, dass ich alle Designs anderer Auto-Hersteller toll finde (ehrlich gesagt finde ich die meisten modernen Autos langweilig gestaltet) oder dass es bei ihnen keine Verarbeitungsmängel gäbe.
Was ich aber neben dem Stänkern mit Tesla-Fans eigentlich sagen will: Elon Musk ist kein Zauberer, sondern ein guter Verkäufer mit Mut (oder Größenwahn, vermutlich beides). Und ein Tesla ist keine perfekte Wundermaschine, sondern ein sehr teures Proof of Concept: Wenn man will, kann man im Jahr 2017 Elektro-Autos mit ausreichender Reichweite anbieten.
Und ich behaupte, dass jeder große klassische Autohersteller das eigentlich besser könnte als Tesla. Ich behaupte außerdem, dass bei jedem dieser klassischen Autohersteller kleine Teams sitzen, die fertige und innovative Konzepte, Designs, Marketingstrategien und Finanzpläne für Elektromobile fertig und präsentiert haben, die weit über die Ideen eines Tesla hinausgehen und innerhalb von zwei bis vier Jahren bzw. schon längst am Markt sein könnten.
Warum machen sie es also nicht einfach? Warum kann ich 2017 immer noch keinen coolen, modernen und technisch hochklassigen Wagen mit integriertem Carsharing und zukünftig autonomer Parkplatzsuche von einem klassischen Hersteller kaufen oder noch besser: on demand mieten? Ja, es gibt einen E-Golf ab 36.000 Euro, aber auch hier hat man den Eindruck, dass man etwas kauft, das in zwei Jahren überholt ist (pun intended), das vom Hersteller mit wenig eigener Begeisterung an den Markt gebracht wurde (die Website für den Wagen erreicht eine 11 auf der Sexiness-Skala von 1 bis 10) und echt mal: Wenn schon, dann sollte sich so ein Wagen auch ein bisschen wie „saubere Zukunft“ anfühlen, oder? Und nicht wie „hab ich von meinem Opa geerbt“.
Warum ist das alles so schwer?
Weil es – da sind wir dann bei den Vorteilen von Tesla – in den entsprechenden Unternehmen keine Personen wie Elon Musk gibt, die radikale, aber richtige Entscheidungen treffen oder Zielvorgaben machen und dafür auch mit ihrem Namen und Gesicht geradestehen. Bei Auto-Herstellern und vielen anderen Industrien fühlt sich anscheinend niemand persönlich verantwortlich, es sind gigantisch gewachsene Firmen-Gebilde, bei denen die Köpfe prinzipiell wechseln können, solange die Firma bleibt, was sie ist. Und gerade das wird schwer, denn sollte einer der klassischen Hersteller aus der Automobilbranche wirklich entscheiden, die Produktion von Verbrennungsmotoren im Privatsektor innerhalb der nächsten zehn Jahre komplett einzustellen und seine gesamten Ressourcen auf E-Mobility zu konzentrieren, dann wird das verdammt weh tun. Denn dafür müssen in der Tat zehntausende Arbeiterinnen und Arbeitern entlassen werden, wenn Umschulungen für alle nicht möglich sein werden. Diese Entscheidung will keine aktuelle Konzernspitze treffen, obwohl sie weiß, dass der Schritt unausweichlich ist. Sie wird es lieber aussitzen und den Nachfolgern überlassen (für die Regierungsparteien gilt hier wie immer der Vierjahresturnus).
Tesla hat diese Probleme nicht. Tesla beschäftigt niemanden, der seit 30 Jahren Verbrennungsmotoren oder Getriebe einbaut.
Das Blöde ist aber: Man wird sowieso vielen Menschen kündigen müssen. Darauf zu hoffen, dass hinsichtlich der Automobilindustrie alles bleibt, wie es ist, ist ein großer Irrtum und damit geschäftsschädigend. Wer jetzt kein Modell aus der Tasche ziehen kann, wie er in den kommenden paar Jahren seinen Automobilkonzern komplett umbauen will und wie er dabei das Bestmögliche für aktuelle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter tun kann, der sorgt für das Verschwinden des Konzerns und damit für noch viel größeres Jobsterben. Vielleicht nicht in fünf, aber sicher in 15 Jahren.
Es gibt eine noch unbeliebtere, weil noch gesundheitsschädlichere Industrie als die der Automobilhersteller: Die Tabakbranche.
Diese muss sich schon lange nicht nur mit ihrer Gefahr für die Gesundheit, sondern auch mit Konsum- und Werbeverboten und mit rückläufigen Verkäufen beschäftigen. Eine Zeitlang sah es so aus, als würden mit nikotinhaltigen oder -freien Liquiden betankte E-Zigaretten das disruptive Element für diese Branche bedeuten, es wirkte, als wäre das endgültige Ende der Tabakindustrie gekommen. Und nun sieht alles doch wieder anders aus.
Rund 3 Milliarden Euro hat Philip Morris in die Entwicklung einer elektrischen Zigarette investiert, die Tabak nicht verbrennt, sondern nur erhitzt und die dadurch nicht raucht, nicht stinkt, keine Asche hinterlässt, vor allem aber etwas weniger gesundheitsschädlich als bisherige Zigaretten sein soll. Der Konzern wirbt in Interviews zum Produktstart sogar mit der medienwirksamen Ankündigung, dass er in naher Zukunft gar keine traditionellen Zigaretten mehr herstellen will. Ob es soweit kommt, wird die Zeit zeigen, und man muss die Tabakindustrie deswegen ganz sicher nicht heilig sprechen, das Ganze ist ja auch eine Verzweiflungstat. Aber man kann sie als Beispiel für notwendiges, massives Umlenken und einen Strategiewechsel betrachten, deren Ausgang alles andere als gewiss ist.
Das wäre bei der Automobilbranche anders. Tesla jetzt die Stirn zu bieten, ist nicht nur möglich, sondern es wäre trotz nötiger hoher Investitionen weitaus risikoärmer. Denn dass das Zeitalter der Elektromobilität angebrochen ist, daran zweifelt niemand. Und würde man politisch mit der Autobranche ähnlich konsequent ins Gericht gehen, wie mit der Tabakindustrie – hätten wir also bspw. Fahr- und Werbeverbote – dann hätten wir in spätestens zwei Jahren auch mehrere coole, moderne, finanzierbare E-Cars von deutschen Autoherstellern. Ganz sicher.