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Kraftklub: Du verdammte Hure.

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Ach Mensch, Kraftklub. Echt jetzt?

Musikalisch überraschend und voll okay. Cooles Video.
Aber der Text? Ist das euer Ernst?

Mir wäre das alles schnuppe, wenn es von irgendeinem neuen, nach Aufmerksamkeit gierenden, auf ganz hart machenden Me-Too-Act käme. Kommt es aber nicht. Es kommt von dir, Kraftklub, von einer der besten Bands, die dieses Land hervorgebracht hat. Von der Band, deren Großartigkeit mir mehr als einmal Tränen des Glücks in die Augen getrieben hat. Von der Band, die wir hier seit fucking sieben Jahren abfeiern. Von der Band, von der ich das Vinyl UND die CD kaufe, obwohl ich den Scheiß entweder bemustert oder als Stream kostenlos haben kann, weil ich nämlich will, das diese Band reich ist. Von der Band, die so oft in wenigen Sätzen so viel Wahres gesagt hat. Von der Band, die so elegant, professionell und sympathisch wie wenige andere von den Klubs in die Stadien gewachsen ist. Von der Band, die stilsicher und erhobenen Hauptes zwischen Hedonismus und Haltung surft, witzig sein kann, ohne zynisch zu werden, und politisch, ohne dass man sich schämen muss.

Und von dieser Ausnahme-Band kommt jetzt dieser Scheiß?

Und ja es stimmt
Dass ich vielleicht etwas konfliktscheu bin
Aber immerhin
Fick‘ ich nicht mit deinen Freundinnen
Du hoffst nur, dass ich weiß:
In deinem Herzen hab‘ ich immer ein’n Platz
Ist ja geil – endlich was gemeinsam
Mit jedem andern Wichser in der Stadt
Wir beide hatten nie ein Lied
Einen Song, der uns verbindet
Jetzt hab’n wir diesen hier
Ich bin gespannt wie du ihn findest
Du verdammte Hure, das ist dein Lied

Gehen wir die Sache mal wohlwollend an. Im Kern singt das nicht nur beim Titel auf eine schräge Art an Elton Johns „Your Song“ angelehnte „Dein Lied“ – mehr oder weniger eine „Powerrock-Ballade“, hihi – ja ein verletzter, trauriger, verlassener Kerl, der seine Traurigkeit und Verletztheit aber nicht zulassen kann, der daher Wut bevorzugt und dem in seiner Armseligkeit nichts anderes einfällt, als die Ex als „verdammte Hure“ zu beschimpfen.

(Abschweifer: Das Wort „Hure“ als Beleidigung kann man nochmal extra thematisieren, ich tue das jetzt an dieser Stelle nicht, sondern lasse es mal als aus dem Hiphop stammende, böse Beleidigung gelten, die im Kern eine treulose Frau meint, die anscheinend wahllosen Sex mit vielen verschiedenen Personen hat und nicht zu ihrem aktuellen Freund steht. Vergleiche auch „Hurensohn“, denn nach der Logik der Hiphop-Kultur ist natürlich auch der Sohn einer Hure nichts wert – „Zuhältersohn“ oder „Hurentochter“ hört man aber erstaunlicherweise eher selten, denn Zuhälter, also Männer, die in den meisten Fällen Frauen zur Prostitution zwingen, sind ja cool, während die Frauen, die die Arbeit machen, nicht cool sind. Und ganz nebenbei wird der Beruf der Prostituierten verunglimpft, der nichts mit all dem zu tun hat, was da als Beleidigung gemeint ist. Dass sich nun gerade Hiphop-People in ihren Videos ja gerne mit Frauen schmücken, deren Dress-Code, Habitus und im Clip von den Männern zugewiesene Position eher an das (in diesem Fall professionelle) Benehmen und Anscheinen von Prostituierten erinnern, macht die Sache noch absurder. Wie gesagt, extra Thema, aber da Popkultur noch nie logisch war und immer von Tabubrüchen und auch Dämlichkeiten lebt, lasse ich das jetzt mal so stehen, „Hure“ ist in diesem Fall eben eine extrem abwertende Beleidigung.)

Man könnte nach der oben stehenden Herangehensweise also sagen, dass der Song eine bitterböse Abrechnung mit eben jenen Typen ist, die nicht einfach nur traurig sein können, sondern denen nichts anderes einfällt, als „Verdammte Hure!“ zu brüllen, wenn sie verlassen werden. Das Problem ist: Das klappt nicht bei „Dein Lied“. Ich habe beim Hören auf einen noch so subtilen Bruch im Text gewartet, auf den Moment, in dem einem das Höhöhö-Lachen im Halse stecken bleibt, weil der Autor der Zeilen plötzlich als der eigentliche Loser klar wird, aber dieser Moment passiert nicht.

„Dein Lied“ könnte vielleicht auch noch funktionieren von einer Band, die vor einem Jahr gegründet wurde und in Mini-Klubs spielt, die ihre Songs also noch schreibt, als würde niemand zuhören. Da stünde dann irgendwann zufällig ein übersättigter Universal-A&R mit seinem dritten Bier im Backstage und würde „den krassen neuen Scheiß“ signen wollen, weil das halt irgendwie krass und so herrlich politisch inkorrekt wäre, und das wollen „die Leute da draußen“ halt, scheiß auf Haltung, scheiß auf Ethik und Moral, das wird sich verkaufen an die „Kids“.

Kraftklub ist aber keine neue Band, die im Keller vor Freunden spielt. Kraftklub sind eine Stadion- und Festival-Band. Und deshalb ist „Dein Song“ ein Scheiß-Song. Nicht, weil er nicht p.c. genug ist, sondern weil er eine Steilvorlage ist für Momente, die ich nicht erleben will.

Ich will einfach nicht dabei sein, wenn eine der tollsten Bands aus Deutschland in die „Hölle, Hölle, Hölle!“-Liga absteigt. Wenn 50.000 Kerle auf einem Festival „Du verdammte Hure!“ brüllen und 10.000 Frauen mitgröhlen, weil sie es aus der Musik, die sie lieben und mit der sie aufgewachsen sind, gewöhnt sind, dass Frauen von Männern nun mal „Huren“ und „Bitches“ und „Schlampen“ genannt werden. Ist ja alles nicht so ernst gemeint. Und ich will nicht dabei sein, wenn 40.000 weitere Frauen und Mädchen und auch Jungs sich das anhören müssen, obwohl sie es zum Kotzen finden. Und die Band trotzdem noch mögen.

„Dein Lied“ wird für Kraftklub werden, was „Zehn kleine Jägermeister“ für die Toten Hosen ist. Nur dass „Zehn kleine Jägermeister“ nicht frauenfeindlich ist. „Dein Lied“ wird als Rausschmeißer auf Malle laufen, wenn die Männer endlich so dicht sind, dass sie sich auch mal gegenseitig umarmen (obwohl sie natürlich keine „Schwuchteln“ sind!!!!) und ihrem Frauenhass „auf die lustige Art“ Luft machen können. Der Song wird der Band ungeahnten Erfolg bescheren, denn der Rest des Kraftklub-Repertoires, ihre sonstige Haltung wird den neu gewonnenen Hörern egal sein, Hauptsache mitgröhlen und endlich mal die Ex ganz offen als „verdammte Hure“ bezeichnen können. Voll geil. Viel Spaß, Kraftklub.

„Ey, Johnny! Ist doch nur ein Lied! Ist doch alles nicht ernst gemeint, ist doch nur Party und voll ironisch! Du bist einfach zu alt, du verstehst das nicht, das ist doch nur [hier ein Wort einsetzen, das jeden Scheiß rechtfertigen soll]!“ – Jaja. Bullshit. Die Band macht also jetzt genau das, was sie in anderen Songs zuvor angeprangert hat? Muss ich dann erst recht nicht gut finden. Aber klar, man kann auch alles lustig meinen. Alles nicht ernst nehmen, alles verarschen, alles in den Dreck ziehen. Man kann so lange alles egal finden, bis wirklich nichts mehr Wert hat.

Wieso macht die Band das? Es gibt mehre mögliche Gründe.

Vielleicht fällt den Jungs nichts mehr ein, nachdem sie jahrelang nur im Tourbus saßen oder sich auf Bühnen haben feiern lassen. Passiert ja sonst nichts in der Welt oder im Land, worüber man singen könnte, also lieber den x-ten Song übers Verlassenwerden, aber mit der voll krassen Beleidigung im Chorus. Haha. Gegen diese Vermutung spricht die unanzweifelbare Klugheit von Kraftklub. Ich hoffe und bin eigentlich recht sicher, dass auf dem kommenden Album „Keine Nacht für niemand“ (eine leidlich kreative Anlehnung an Ton Steine Scherben natürlich) jede Menge großartiger Songs sein werden, die auch anderes als den Ego-Kosmos thematisieren. „Denen fällt nichts mehr ein“ scheidet aus als Grund für den Text von „Dein Song“.

Oder man wollte mal wieder zeigen, wie „Street“ man doch noch ist. Wie irre „männlich“ und tough. Und so. Hiphop. Echte Bros. So nach dem Motto: Hier, guckt mal, wir sind gar nicht abgehoben, wir sind immer noch voll down mit euch, und DEN Song spielt garantiert kein Radio!

Dass das Blödsinn ist, müsste die Band eigentlich auch wissen, und einige Radios der „jungen Wellen“ werden „Dein Lied“ selbstverständlich spielen, denn Radios haben selten Haltung, die meisten rennen der (erfolgreichen) Popkultur hinterher. Vielleicht fragen sie – offen, wie sie sind – einfach mal ihre Hörer*innen, was die so vom neuen Kraftklub-Song halten, aha, sehr interessant, so kann man das also auch sehen, toll, danke, dass du angerufen hast, jetzt haben wir hier die Viola und die sieht das ganz anders, oder Viola, erzähl doch mal! Und dann spielen sie den „brisanten“ Song, „an dem sich die Geister scheiden“.

Es könnte natürlich auch sein, dass die Band da ganz naiv … nee, das kann nicht sein. Die sind ja nicht blöd.

Verdammt, ja, der Song ärgert mich. Weil er es legitimiert, die Ex als Hure zu bezeichnen, weil er keinerlei ironischen Bruch, keinerlei Haltung zeigt. Weil er blöd ist, obwohl er von einer nicht blöden Band kommt. Weil er das falsche Signal ist: Wenn Kraftklub das in einem Popsong im Radio singen können, wieso darf ich dann nicht Frauen im Internet genauso beleidigen? Hm? Ist doch normal jetzt!

„Keine Sorge, Johnny. Die Fans verstehen das schon richtig, die machen sich da nicht so’n Kopp drum wie du.“ Genau. Stattdessen fragen sie sich in den YouTube-Kommentaren, wie oft die Band wohl den Song spielen musste vor dem brennenden K (immerhin wird ihnen von anderen Fans dann erklärt, wie ein Musikvideo gemacht wird, manchmal sogar korrekt), oder was für eine furchtbare Beziehung der arme Felix gehabt haben muss, dass er jetzt so sauer ist (auch hier, um nicht ungerecht zu sein: andere vermuten, dass es sich um Fiktion handeln könnte …).

Ich gebe es zu: Dieser ganze Text, den ich hier tippe, ist allein aus verletzter Liebe entstanden. Ich bin wütend darüber, dass eine meiner Lieblingsbands so einen Scheiß abliefert. Und ich hoffe, dass der Rest des Albums klasse wird.

Und vielleicht ist das alles ja Kalkül. Band und Management wissen, dass Texte wie dieser hier erscheinen werden, dass in den Sozialen Medien debattiert werden wird, dass also ein gewisser Rummel um den Song entsteht und es scheißegal ist, wie der Song verstanden wird, Hauptsache, das Ding geht ab. Super, oder? Am ersten Tag schon 360.000 Views auf YouTube, darüber die Schufa-freie Kreditkartenwerbung, läuft bei uns.

In diesem Fall hätte die Band etwas nur für Geld und/oder Fame getan, und man käme nicht umher zu sagen:
Die Hure bist in diesem Fall du, Kraftklub.


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